auf zeit-online fragen sie jeden tag: wie geht es ihnen heute? da kann man nur mit 1 oder o, bzw. „gut“ oder „schlecht“ antworten. das ist für jemanden wie mich, einem depressiven wichskrüppel mit autistischen zügen, eine frage, die eigentlich kaum zu beantworten ist. aber ich zwinge mich. jeden tag. natürlich kann man das nicht morgens beantworten. morgens um 6 uhr, wenn ich mir erstmal die kriegsnachrichten und den stand der covid-pandemie reinziehe. man soll ja den tag nicht vor dem abend loben. und abends bin ich im prinzip schon derart ausgelaugt von dem ganzen scheiß, dass ich da eher tendenziell „schlecht“ anklicken würde. ich denke dann auch darüber nach, ob ich eigentlich „gut“ anklicken darf, wo doch krieg ist. und da fällt mir rechtzeitig ein, dass ja immer krieg ist, seit ich auf der welt bin. das erklärt vielleicht auch, warum ich seit kindesbeinen an depressiv bin. mal mehr, mal weniger. der krieg ist schuld. und dann die angst vorm krieg. und dann der krieg in mir drin. und dann war’s eh schon zu spät. aber dann denke ich, das geht ja nicht, dass man, wenn man so priviligiert ist, also mit ordentlichem trinkwasser ausgestattet, elektrizität tag und nacht, keine panzer im vorgarten, biontech auf der anderen rheinseite und im oberarm und einer wundervollen frau gesegnet, also dass man da „schlecht“ anklickt. schwierig,

warum kann es einem nicht gut und schlecht gleichzeitig gehen?!

gute frage. ich denke, so könnte man es ganz gut beantworten. es geht mir einerseits gut und andererseits schlecht. das ist doch okay. dualismus my fucking ass. und genauso ist es. ich muss zum beispiel gött:in danken, dass ich morgen vor 2 jahren ins homeoffice ziehen durfte. wenn ich mir ausmale, wie dieser ganze wahnsinn zusammen mit 5-8 „kollegen“ in einem raum auszuhalten gewesen wäre, da wird mir ganz schwummi im gemüt. ich bin damals also in unsere gartenlaube gezogen und von hier aus ist das elend gut auszuhalten. eremitentum deluxe. mit meiner frau (m/w/d) ist es ja ohnehin kein richtiges eremitentum. aber nun ja. 730 tage ist es her, dass wir intern die pandemie spürbar gemacht haben. damals haben wir bananenbrot gebacken und sind auf leeren strassen zum rewe nach oestrich-winkel gefahren und wir mussten uns von selma klopapier aus mainz vor die haustür stellen lassen (weil man sich ja nicht treffen durfte) (wir haben alle regeln streng befolgt). ansonsten haben wir so ziemlich genau so gelebt, wie wir auch sonst leben würden.

ja und nun also ist also pandemie und krieg (in der ukraine) gleichzeitig und somit haben wir den salat gleich doppelt.

aber

jetzt möchte ich mal eine lanze für die menschheit brechen. natürlich gibt es tausende von hardcore-idioten, covidleugnern, rechtegedankenangehörige, etc. pp. aber dagegen halte ich mit 100.000en – ja man kann sogar sagen, weltweit milliarden – vernunftsbegabter menschen, wovon einige sogar politiker sind. ich hab hier in meinem hüttchen und mit meiner frau natürlich gut lachen, haben wir es doch irgendwie tapfer durchgestanden und die meisten wollen es auch weiterhin tapfer-durchstehen, wenn tapfer-durchstehen nötig ist. eventuell ist diese krise sehr schlecht kommuniziert worden und ein schweigefuchs wie olaf scholz fühlt sich da irgendwie nicht so richtig erfüllend an. aber eventuell hat er auch keine zeit für palaver, weil er schlicht und ergreifend arbeiten muss. covid ist halt eine richtige krise. mit allem, was dazu gehört. man hat den umgang mit ihr nicht gelernt. sie macht vieles kaputt. sie tötet menschen, zerstört bisweilen den sozialen zusammenhalt, erschüttert die finanzlagen von menschen und institutionen: sie ist wie krieg. und sie hört auch nicht so schnell auf, wie man sich das schönreden wollte.

und jetzt sitzen wir hier. es ist der 16. märz 2022 und draußen wabert der nebel die wiese hoch. es kommt mir fast ein bisschen vorweihnachtlich vor. ich bin seit 4 uhr wach und um 5 uhr bin ich dann entnervt aufgestanden, weil, sich sorgen machen und grübeln nur bedingt zu irgendwas führt. also stand ich auf und bereite die feierlichkeiten für morgen vor. 2 jahre home office. für mich ist das ein grund zu feiern. wenn da nicht das schlechte gewissen wäre, dass man doch um himmels willen jetzt nicht das feiern anfängt, wo doch krieg ist. „krieg herrscht“ sagt man ja auch. ja, aber es ist doch dauernd krieg, sage ich dann. hat man zum beispiel 1994 während des völkermordes in ruanda auch nur eine sekunde darüber nachgedacht, nicht die wichtigsten feiertage des jahres (fastnacht, vatertag, halloween) zu begehen? keineswegs. und als zur zeiten meiner unbeschwerten (lol) kindheit quasi jede woche ein flugzeug entführt wurde, da wurde doch den ganzen tag sekt gesoffen. manchmal sogar natursekt. aber am 11. september, da es wieder uns alle, also den goldenen westen betraf, da hat zum beispiel harald schmidt zwei wochen seine zynische fresse gehalten. das war sehr erholsam. 2001 hatte er längst den zenit überschritten. da wollte er dann ernsthafte bühnenkunst machen. wenn ich mir nur einen augenblick seine aufführung als lucky in samuel becketts „warten auf godot“ ins gedächtnis zurücktransferiere, wird mir schlecht. das war ungefähr genauso beschissen, wie sein oskar schifferle auf dem traumschiff. jetzt reg ich mich ja schon wieder auf und schweife ab. jedenfalls ist jetzt halt krieg vor der haustüre, der schwachmat im kreml hat „atombombe“ gesagt und jetzt haben wir gleich mehrere salate auf einmal. obwohl salat doch was schönes ist. zum beispiel dönersalat. schade, dass ich das fleischessen aufgab, sonst würde ich mir jetzt bei (achtung werbung) aspendos döner in mainz einen schönen dönersalat bestellen. mainz, das tolle dorf auf der anderen seite des rheins, wo es auch in den ärgsten zeiten immer klopapier gibt.

p.s.: ach und noch was.

wolodymyr oleksandrowytsch selenskyj

Володимир Олександрович Зеленський ist ein held. ich ziehe jeden tag, morgens, mittags und abends und oft auch nachts meinen hut vor ihm und seinem mut und wie der das durchzieht. ich bin so extrem unsicher, was ich dazu alles denken soll. zeitweise dachte ich auch, vielleicht ist es besser zu resignieren und die russen besetzen das land und dann sterben weniger leute. aber das nur zu denken, so sehe ich das heute, wäre aber ein schlag ins gesicht aller derer, die sich in der ukraine mit molotow-cocktails dieser angriffe erwehren oder ihre situation in einer instagram-story schildern, während über ihnen die decke einbricht, weil grad eine granate aufs dach gefallen ist oder … sich einfach vor einen fahrenden panzer zu stellen … meiner seel! und dann setzt sich selenskyj jeden tag vor die kamera und haut seine statements raus und ich haue hier meinen fucking weltschmerz raus. nun ja. ich hoffe das geht irgendwie alles nochmal gut aus. in diesem sinne. peace!