neulich saßen wir in der nähe von duino-aurisina in der region friaul-julisch venetien auf einem wiesengrundstück unter olivenbäumen. vereinzelt standen kiefern herum und das machte mich froh. ich liebe kiefern. olivenbäume auch. sie sind so verheißungsvoll. keine ahnung, was das bedeutet. das fiel mir gerade ein. es ist so viel passiert in den letzten monaten und in mir sind mehrere achterbahnen gleichzeitig durch die gemütszustände gefahren. es ist zum teil ein graus. zum teil war es wundervoll und immer und immer war da die liebe frau, die mir zur seite stand und ich stand ihr zur seite und wir waren ein team. ein wundervolles team.

AUGUST 2021

irgendwann fragt sich wohl jeder selbstständige: wann höre ich auf, wann gehe ich in rente? irgendwie haben wir uns darauf geeinigt, dass das eventuell mit 72 jahren so sein könnte. man muss arbeiten, bis man 72 ist und dann beginnt die alterarmut. so in der art. oder man hat vorgesorgt oder man hat krumme dinger gedreht. ich habe mich für die altesarmut entschieden. nicht wirklich freiwillig. aber die rentenaussichten, die man jedes jahr von der entsprechenden behörde geschickt bekommt, waren eher lausig. bis letztes jahr, da stand da eine rentensumme, mit der ich leben könnte. nicht in reichtum schwelgend, aber man käme damit hin, naja. ich würde ja in meinem eigentlichen beruf, grafikdesigner, schon auch so lange arbeiten, wie ich das dann kann. also wenn das hirn noch mitmacht, die maushand noch nicht ganz arg zittert und die augen noch ihren dienst tun, dann könnte ich arbeiten. mit herz und verstand. es würde mir nichts ausmachen. in den letzten 11 jahren war ich allerdings eher werber, als grafikdesigner. die flausen hat man mir da relativ schnell ausgetrieben. meine firma funktionierte gut, wir hatten immer viel zu tun und gute kunden. sogar namhafte, große kunden, was für eine so kleine werbeagentur eher ungewöhnlich ist. der jahresverdienst war durchaus opulent und man (also ich) konnte zum teil mit großer wonne das geld zum fenster rausschmeißen. ich war der kreative, hatte relativ viele freiheiten, wir haben uns auch nicht kaputt gearbeitet. ich bin morgens um 8 uhr ins büro, von montag bis freitag und wenn es mal nicht anders ging, saßen wir da auch mal wochenends. die letzten 2 jahre im home office, wegen der pandemie. ich habe mich oft gefragt, ob das, was ich da verdiene, angemessen ist, wenn ich da andere menschen sehe, die berufe ausüben, die mir ein graus wären und die sich wirklich kaputt und krank arbeiten. zum beispiel in einem pflegeberuf. gerade als covid losging, waren diese berufe ja sehr präsent. naja, dachte ich, ich arbeite und lebe mich mit meiner agentur ja auch ein bisschen krank, so im gemüt und im kopf, da ist das viele geld auch immer ein bisschen schmerzensgeld. ich habe 11 jahre meine arbeit gemacht, so gut wie möglich und immer mit schnellen und manchmal sogar guten ideen, die ich in meinem schier unerschöpflichen gehirn gelagert habe und die ich einfach nur abrufen musste. trotzdem ging mir das gegen den strich. sicher ist das voll okay für andere, wie wir arbeiteten und lange zeit dachte ich, das ist jammern auf hohem niveau, ich bin ein pinzchen, eine mimose, ich halte nichts aus. irgendwie war es nicht okay, es war irgendwie nicht zeitgemäß, nicht visionär, nicht ein bisschen das, was man „verrückt“ oder „verröööckt“ nennt. mir fehlte das freie denken. die schnellen dinge, einfach gedacht und dann raus. obendrein ist es in geschäftlichen konstellationen ja auch nicht immer so, dass man sich mit einem freund oder einer geliebten zusammentut. es ist eben ein geschäftspartner. es ist pragmatisch. es ist ein geschäftsmodell. und wenn man will, kann man das, was da erfoderlich ist immer auf das kalte, faktisch seelenlose attribut „professionell“ herunter flatulieren. wenn man nur professionell ist. immer und um jeden preis. ängste, sorgen, glücksgefühle, liebe, panik, visionen oder kreativität haben da nichts zu suchen. das ist ein absonderliche welt. distanz zum eigenen gemüt. erfolgreich sein müssen. irgendwas. die zelle fährt. gegen die wand.

ACHTZEHN JAHRE

eines tages, im august 2021, war mal wieder so ein tag, an dem ich was sah, was ich nicht beschreiben kann. es ist, als sähe ich das licht am ende des tunnels, aber ich fahre nicht durch den tunnel, ich stehe. ich bin wie festgewachsen. in diesem tunnel aus finanzieller absicherung und werbemaßnahmen für unternehmen. und dann dachte ich, während eines zooms mit kollegen, dass es, bis ich 72 jahre alt bin, bis ich also in „rente“ gehen könnte, noch 18 Jahre sind.

und dann ging alles ganz schnell. ich muss aufhören. eigentlich sofort, aber das wäre unkollegial und nicht korrekt, ich muss also zum ende des geschäftsjahres aufhören. irgendwie aufhören. keine ahnung, was dann kommt. also verlasse ich das unternehmen zum 31.12.2021. alles war auf einmal ganz leicht. ganz kompliziert. panikattacke. freiheit. glück. angst. wir schaffen das. jetzt muss es sein. nach dem zoom sagte ich zu kiki: „ich verlasse die firma zum 31. dezember.“

GLORYBIMBAM

freitag fasste ich den entschluss. blitzeis. insomnia. montag sagte ich dem geschäftspartner, dass ich aufhöre. ich muss wieder kunst, kappes, herzenskram machen. montagnachmittag rief ich ben wildner an. ben sagte immer, wenn wir uns mal trafen: „wenn ich es mir leisten könnte, würde ich dich sofort einstellen.“ „tja.“ sagte ich 11 jahre lang. ben verkaufte t-shirts mit sprüchen und design drauf. er hat ein eigenes label, das gut läuft, aber er suchte irgendwas neues. „ich komme sofort vorbei.“ sagte er, als ich ihm die situation darlegte. am abend trafen wir uns im pfauenhäuschen.

was können wir tun?

als erstes erfanden wir das label glorybimbam und dann rechneten wir mit spitzem bleistift hin und her, wie wir die sache mit mir realisieren könnten. ich war zu allem bereit, außer zu einkommenseinbußen. dachte, das kann ich mir nicht leisten. am dienstagabend hatten wir die lösung. ich fange am 1. januar 2022 bei der wildner.gmbh an. dann bin ich nach 24 jahren selbstständigkeit angestellter vom guten alten ben wildner. der gedanke machte mich glücklich.

zugleich meldete sich die depression in vollem ausschlag zurück. ich habe ja seit 20 jahren keine medikamente mehr genommen. die sau meldete sich zwischendurch immer mal wieder. immer wieder getriggert von dingen, von leuten, von den ereignissen. man weiß es nicht genau. vermutungen von parapsychologen, therorien. aber irgendwann lebte ich mit einer andauernden leichten depression, bis ich sie gar nicht mehr wahrnahm. wenn dinge nicht zu ändern sind, habe ich sie mir im kopf organisiert. als sie mir 2011 einen teil meines fußes abschnitten (fortan konnte ich mich nur noch an krücken fortbewegen und mit den jahren ging das gehen immer schlechter, bis ich heute keine 100 meter mehr schaffe) da habe ich mir auch das einsortiert: ist halt so. nicht jammern. einfach weitermachen. anfang 2011 ging die depression dann parallel auch in die nächste runde. es wurde schwieriger. ich hatte keine freude an meinem beruf, ging aber zuverlässig jeden morgen ins büro. die struktur half mir zu überleben. für das verdiente geld kaufte ich mir kompensationsdinge wie einen 3d-drucker, eine vr-brille, ein quad, eine eiswürfelmaschine, japanische messer, 15 paar vans (als jemand der nicht gehen kann. lol.) verschiedene elektroroller und schließlich, als die depression mit panikattacken und einer ordentlichen angststörung mein leben einige monate zur hölle machte, kaufte ich mir endlich, nach jahrezehnten der träumerei vom mobilen leben, ein wohnmobil namens gundel schaukeley. so versuchte ich der sache herr (m/w/d) zu werden. ich ging zur psychotherapie, ich versuchte es mit atmen und sämtlichen achtsamkeits-apps und irgendwann wusste ich gar nicht mehr, wie es mir ging. fragt mich nicht, wie es mir geht! und dann – als ich den schritt getan hatte und die firma verlassen hatte, die ich 2010 gegründet habe und dessen name u.a. jahrelang mein twitter-name war, so dass viele leute mich bis heute so nennen und damit verbinden – da brachen auf einmal alle dämme. mir war klar, dass ich da 11 jahre lang in einem selbstgeschaffenen käfig lebte.

UND JETZT

wieder zu hause. wie wir hier leben. ich verdiene nicht mehr so viel wie vorher. das ist so eine sache. und das hat mich in keiner weise unglücklich gemacht. geld ist mir egal. also, natürlich brauche ich geld und ich will ja auch gut leben, aber ich war nie glücklich, nur weil ich so viel geld verdient habe. oder weil ich zu den oberen 10% in der einkommensskala deutschlands gehörte. was soll das? es ist lächerlich. jetzt arbeite ich für ein one-man-unternehmer in dem der one-man-ben immer alles gemacht hat. geschäftsführung, hr, produktion, datenbanken, programmierung, prozesse organisieren, design, messen, orga, alles. nur im der produktion arbeiten einige leute. marketing oder werbung oder dergleichen gab es nicht. der schritt zurück vom eigenen werk und da dann drauf schauen, dazu war nie zeit. und dann kam ich. natürlich kann man als e.t. die sachen anders betrachten. und das dann einbringen. man kann das versuchen. ich habe diese prozesse als werber immer von einer anderen perspektive gesehen. wie marketingleiter sich in familienunternehmen abmühen, gegen geschlossene türen laufen, prozesse lernen müssen, die einem absurd vorkommen. aber sie haben so funktioniert. loslassen, freigeben, vertrauen in andere zu haben, war für die inhaber:innen oft keine einfache sache. und jetzt bin ich an der stelle. ich bin kein marketingleiter, aber was bin ich dann? in meinem vertrag steht „creative director“. ich muss immer lachen, wenn ich das lese. der herr direktor. wenn ich sehe, wer sich heutzutage alles creative director nennt, will ich das nicht sein. ich habe mich auf creative ultra geeinigt. es interessiert ja eh keinen. du musst halt einfach machen. neulich in einem postmailing (wir haben ein anschreiben an freunde und gute kontakte auf ein t-shirt gedruckt und das dann verschickt. analog kann auch okay sein) da habe ich mich als eierlegenden wollmilchbär bezeichnet. das trifft es schon. ich bin mir auch zu nichts zu schade. ich brauche keine zierleiste des erfolgs auf meine existenz schrauben. ich finde mich gut und ich mag, was ich mache, auch wenn das nicht gerade die beste zeit ist, in so ein unternehmen zu wechseln. wie gesagt, die depression und dann der krieg in der ukraine, die pandemie, das hat alles seine konsequenzen, so auch bei uns. aber ich habe ja null komma null das gefühl das es mir schecht(er) geht. gar nicht. depression ist jetzt im griff. duloxetin. google das mal, damit du weisst, was ich für ein freak bin und dich darüber auslassen kannst. ich hab’s für dich verlinkt. nur für dich. da war ich bei tom in bad kreuznach. ein neurologe und psychiater und zusammen mit meinem wundervollen hausarzt dr. helmo und meiner geliebten kiki, haben wir das hingekriegt. ich bin raus aus der scheiße. aus der ganzen blöden scheiße, die mich die letzten jahre begleitet hat. die zelle steht, ich bin ausgestiegen.

RABBIT HOLE

und dann befinde ich mich seit unserer reise durch istrien, slowenien, san marino und der emilia-romagna in in einem rabbit hole und schaue mir ein vanlife- tiny house- und höllenbewohner-video nach dem anderen an. aussteiger sind das. ich würde nie aussteiger sein wollen. ich glaube schon, dass ich immer arbeiten muss und werde. warum auch nicht. jetzt, wo mir meine arbeit wieder spaß macht. das kann ich auch von überall, das mache ich ja jetzt schon komplett remote. viele dieser lebenskonzepte, die ich mir die ganze zeit betrachte, sind geradezu absurd. aber dennoch sind diese leute oft happy mit dem, was sie haben. da wohnt einer in gomera in einer höhle, seine küche und das wohnzimmer sind draußen vor der höhlentür, sein wasser holt er sich aus einer quelle, irgendwo in der nähe, natürlich hat er einen hund, alle diese leute haben einen hund (eine hatte sogar sechs windhunde an bord ihres wohnmobils), er hatte nicht viel und war aber damit zufrieden. er hatte ein smartphone und ein ausklappbares solar-panel. das hat mich dann wieder beruhigt.

wenn ich ins wohnmobil ziehen würde, dann wäre die frau dabei, und das ketzle. und wir haben ja wasser an bord, ausreichend solarstrom, eine toilette, eine dusche, einen kühlschrank (der während der fahrt kühlt, per gas und per solarstrom, was man halt gerade hat), einen gasherd, unsere macbooks, telefone und wir haben das internet immer dabei. das geht, jenseits der deutschen grenzen, immer unkompliziert und schnell. schneller als hier. das ist aber wichtig. und wenn ich netz habe, dann werde ich arbeit haben. so ist das. und so kann ich mir dieses „aussteigen“ vorstellen. mir gefällt auch der gedanke, mich extrem zu reduzieren. was habe ich nicht für einen krempel hier gesammelt habe in den letzten jahren. grotesk. und eines tages würde ich gerne den winter nicht in diesem land verbringen.

aber auch nicht in einer höhle. ich versprechs dir.

p.s.: weil ja heutzutage ausschließlich spam in die kommentare gekübelt wird, habe ich die kommentarfunktion abgeschaltet. schreibt mir eine mail oder auf instagram.